Wie würden jagende Menschen wahrgenommen werden und unser Revier tatsächlich aussehen, wenn wir beides mit den Augen des Schalenwildes betrachten würden? Was nimmt es besonders gut wahr – und was hingegen nicht? Wie müssen wir uns zur Jagd kleiden, wie sollten unsere Ansitzeinrichtungen beschaffen sein, damit uns das Wild möglichst nicht entdeckt? Wir wagen einen unwissenschaftlichen Blick aus Sicht der Tiere.
Während ich mein Büro aufräume – Manuskripte umschichten, Bilddateien löschen, Buchunterlagen zusammenstellen – dudelt leise im Hintergrund das Radio. „Stimmt's“ nennt sich die Sendung, die ich nebenbei auf NDR 2 höre. Christoph Drösser erklärt darin täglich „Legenden und Irrtümer des Alltages“. Die heutige Fragestellung lautet: Stimmt es, dass es keine einzige grüne Säugetierart gibt? Wissensexperte Drösser antwortet: Stimmt! Es gibt lediglich Affenarten, deren Farbe mit oliv-grün-bräunlich beschrieben wird, doch eine Überprüfung dieser Angaben hat ergeben, dass auch diese Primaten „mit der Farbe Grün nicht viel zu tun“ haben. Grüne Vögel, Insekten und Amphibien sind beispielsweise bekannt – grüne Säugetiere nicht. Eine mögliche Erklärung, warum die Evolution vielfarbige Säugetiere nicht hervorgebracht habe, so Drösser weiter, sei der Umstand, dass die weitaus meisten Säugetiere rot-grün-blind seien.
Warnfarbe Blau, nicht Rot
Das Aufräumen des Büros hat augenblicklich ein Ende, das fasziniert mich, jetzt wird gegoogelt. Schnell stoße ich auf den Beitrag „Können Wildtiere Farben sehen?“ von Christopher Böck. Er führt u.a. aus: „Der Mensch verfügt zum Beispiel über drei verschiedene Zapfentypen (Rezeptoren), die jeweils für Lichtquellen im Blau-, Grün- und Rotbereich empfindlich sind. Demgegenüber haben die meisten der untersuchten Schalenwildarten, Räuber und Nager nur zwei verschiedene Zapfentypen: einen Rezeptor für kurzwelliges Licht von Ultra-Violett bis Blau sowie einen Rezeptor für den grünen bis gelben Farbbereich. Ein Rezeptor für Rot fehlt den meisten Säugetierarten. Deren Farbempfinden ist etwa mit dem eines rotblinden Menschen zu vergleichen, der grüne, gelbe und rote Farbtöne als grün bis gelb bezeichnet. Für die Säuger unter den Wildtieren stechen also vor allem Blautöne heraus, die wie Signalfarben wirken.“
Was bedeutet das für die Jagdpraxis? Stark vereinfacht lässt sich folgern, dass das noch heute oft geschmähte rote Hutband und die ungern getragene rote Warnweste uns aus Sicht des Schalenwildes keineswegs auffälliger machen, rein farblich eher das Gegenteil. Was uns Menschen schrill ins Auge sticht, ist beispielsweise für Rot-, Dam- und Rehwild nur ein anderer „Farbstich“, keinesfalls aber eine Warnfarbe. Daher: Mut zur roten Kleidung, sie schmälert nicht den Jagderfolg.
Was könnten wir vielleicht noch ableiten? Unsere jahrelang angebrachten roten Wildwarn-Reflektoren sahen in den Augen der Autofahrer beeindruckend aus. Wir nahmen hier das Rot als Warnfarbe war. Wirkte es beim Schalenwild ebenso? Nach den wissenschaftlichen Ausführungen wohl nicht. Scheinbar hat es sich bei einem Teil der Jägerschaft herumgesprochen, denn immer mehr Revierinhaber, deren Beritt an Straßen grenzt, reagieren darauf und bringen Reflektoren in der Farbe Blau an. Deren Warn- bzw. Scheuch-Effekt müsste dann, folgt man den o.g. Ausführungen, höher sein, oder? Die Zukunft und Vergleiche werden es zeigen.
Hell-Dunkel-Kontrast verräterisch
Unabhängig von Farben bleibt der Hell-Dunkel-Kontrast beachtenswert! Hell sticht sehr wohl vor dunklem Hintergrund hervor. Achten Sie einmal darauf, wie hell Ihre Hände sind und auch die Rückseite Ihrer Unterarme. Betrachten Sie bitte das Foto des Jägers auf der Kanzel, der gerade durch das Fernglas schaut. Wie weiße Taschentücher leuchten seine sich beim Abglasen bewegenden Hände. Das ist verräterisch, nicht ein bestimmter Farbton.
Ebenso beeindruckend: Das extra aus größerer Entfernung aufgenommene Bild des getarnten Jägers neben dem viel Haut zeigenden Waidmann. So vermag uns, allein ob des Hell-Dunkel-Kontrastes, das Schalenwild (Ausnahme: die recht sehuntüchtigen Schwarzkittel) früh bemerken. Was macht diesen Kontrast noch so bedeutsam?
Dazu noch einmal Christopher Böck: „Selbst das hoch entwickelte Dämmerungssehen wird von der Fähigkeit des Bewegungssehens übertroffen. Wer hat nicht erlebt, dass eine geringe Bewegung ausreicht, das verhoffende Reh plötzlich abspringen zu lassen?“
Erfolgskiller auffällige Bewegungen
Kennen Sie diese Erfahrung nicht auch? Mehr noch: Auch wir sind – Farbseh-Vermögen hin oder her – Bewegungsseher. Die Querbewegung im Stangenholz fällt uns sofort auf, während das direkt auf uns anwechselnde Stück Rotwild unsichtbar blieb, bis es 50 Meter vor uns etwas breiter zog. Warum? Ein querziehender Körper in einem senkrechten Blickfeld lässt sich eben besser erfassen, als eine senkrechte Form zwischen senkrechten Bäumen. Nicht umsonst buhlen sich drehende Werbeschilder und wehende Fahnen im Alltag um unsere Aufmerksamkeit. Stichworte wehende Fahnen: Lassen Sie uns nur für wenige Sätze das Schalenwild verlassen. Bei einer Treibjagd im letzten Herbst stellte ich nicht nur fest, dass die erfahrenen Jäger sich setzten, statt als große Klötze auf den Wiesen zu stehen. Durchweg hatten sie alte und älteste Kleidung an, die schmutzig und scheckig wirkte. Nachdem sie auf ihren Sitzstöcken (diese standen stets vor Weidepfählen) Platz genommen hatten, fixierten diejenigen, die längere Mäntel trugen, die Mantelenden mit Wäscheklammern an den Beinen – damit sie eben nicht wie weit sichtbare Fahnen im Wind wehten.
Einfarbige Flächen gibt es nicht
Was lässt uns außer Bewegung noch auffällig erscheinen, wenn wir uns im Revier aufhalten? Große, gleichfarbige Flächen! Der tiefdunkelgrüne Lodenmantel im hellgrünen Frühlingswald stellt nicht nur hinsichtlich seines Hell-Dunkel-Kontrastes ein Problem dar, er ist zudem unnatürlich gleichfarbig. Kontrollieren Sie dies bitte im Revier oder im Garten: Nirgendwo finden sich größere, einfarbige Flächen. Betrachten Sie bitte einen Ausschnitt einer Baumrinde, schauen Sie sich einen Zweig aus der Nähe an oder betrachten Sie den Waldboden: Feine und allerfeinste Strukturen ergeben dann den (Gesamt-)Eindruck, den wir von den Dingen haben. Für das Schalenwild ist das nicht anders.
Ideal gekleidet ist demnach derjenige, der sich „Strukturen anzieht“, d.h. Flächen auflöst. Großvater löste dies, indem er an Wintertagen eine ausrangierte weiße Tischdecke als Überwurf nutzte, nicht, ohne sie vorab reichlich mit Dreck zu besprenkeln oder anderweitig stellenweise zu beschmutzten. Sein so strukturiertes Schneehemd ermöglichte ihm erstaunliche Begegnungen mit Schalenwild – und damit auch viele Jagderfolge. Modern nennt sich Struktur Camouflage, Max-4, Realtree, HW Blaze, APG HD, Mossy Oak – oder was immer sich die Hersteller für Bezeichnungen haben einfallen lassen. Sicher, Camouflage gekleidet zu sein, widerstrebt dem deutschen Waidmann. Doch hier sollten wir einen Blick über die Grenzen wagen: Amerikaner und Skandinavier sind diesbezüglich schon viel weiter und tragen längst Tarnkleidung. Sie empfinden dies als zu militaristisch? Dann schauen wir doch mal gemeinsam über unsere jagdlichen Grenzsteine hinweg: Mancher Angler steht so am Gewässer, wie viele Naturfotografen (zudem in so genannten 3D-Anzügen) nutzen längst schon Flecktarn, und warum kleiden sich auch Ornithologen manches Mal so? Alle diese Gruppen sind sicherlich über den Vorwurf erhaben, militaristisch zu sein! Tarnnetzschirme waren übrigens schon Jahre zuvor in Ornithologen- und
Naturfotografen-Katalogen zu erstehen, bevor diese nach und nach erst in unseren Jagdkatalogen auftauchten.
Interessanterweise setzt sich derzeit eine Strukturen imitierende Kleidung bei Drückjagdkleidung recht schnell durch. Immer häufiger sieht man Nimrode in roten Jacken, auf denen Bäume und Zweige dargestellt sind. Derartige Imitationen werden aber nicht nur für Drückjagdbekleidung angeboten. Vermehrt offeriert die Bekleidungsindustrie derart viele Tarnmuster, dass für jede Jahreszeit und jedes Revierumfeld etwas Passendes dabei sein müsste (s.o.).
Wie die Sonnenseite der Bäume
Wer dennoch seine Abneigung gegen den „Soldaten-Look“ nicht überwinden kann, trage bitte mattes Grünbraun, Braungrau, kurz: gedeckte Erd- und Waldtöne, die bitte zum Revier und zur Jahreszeit passen sollten. Schon Heidedichter Hermann Löns mahnte dies Anfang des letzten Jahrhunderts (!) an:
„Die Farbe sei möglichst unauffällig, in jenem Tone, den die Sonnenseite der Bäume zeigt (…) Graugrün, Graubraun oder Braungrau; am vorteilhaftesten sind leicht gemusterte Lodenstoffe, wie man sie heute in Deutschland so hübsch herstellt, dass ganz England sie trägt (…) Je verschossener der Hut ist, umso besser stimmt er zu der Natur (…) Ein Jagdanzug kann verschossen sein (...) im Jagdhause kann man getrost die ältesten Klatern anziehen“ – geschrieben Anfangs des letzten Jahrhunderts!
Alles was Ihre Konturen auflöst, ist zudem willkommen, über Löns' „leicht gemusterte Stoffe“ hinaus. Jeder Gewehrriemen, jeder Rucksackgurt und selbst das Fernglas vor der Brust tragen wenigsten etwas dazu bei, dass Sie nicht als großer grüner Klotz im Revier auffallen. Noch einmal: Vergessen Sie die Leuchtwirkung Ihrer Hände, Arme und Ihres Gesichtes nicht. Ein breitkrempiger Hut oder ein Basecap sowie Handschuhe gehören bei mir immer mit zur Jagdkleidung – immer getragen von der Hoffnung, dass der Wind nicht plötzlich dreht und die weitaus bessere Sinnesleistung des gesamten Schalenwildes – das riechen, winden und wittern – zu Tage tritt.
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