Jagdfreie Ruhezonen: Mehr Wild, weniger Schäden, erhöhte Strecke (von Katrin Burkhardt)
Mit Ruhezonen wird das Schalenwild erfolgreich an das Waldrevier gebunden, das heißt, mehr Wild steht auf der Fläche. Eigentlich müsste dann auch mehr gejagt werden, was aber wiederum dazu führen würde, dass sich das Wild wieder umstellt. Wir verfolgen seit Jahren das Konzept der Wildruhezone. In Teilen unseres Reviers herrscht Jagdruhe. Durch diesen Verzicht, der letztlich keiner ist, haben wir mehr Wild im Revier und haben sogar unsere Strecke erhöht. Und der für den Wald unverzichtbare „Nebeneffekt“: Insbesondere Reh- und Rotwild verursachen weniger Verbiss- und Schälschäden. Dabei reicht bereits eine kleine Fläche, um eine Ruhezone einzurichten. Somit ist diese Taktik in vielen Revieren umsetzbar.
Sobald Ruhezonen eingerichtet sind, ändert sich das Verhalten des Wildes und die Art der Bejagung. Ein gutes Beispiel sind Truppenübungsplätze. Ganze Brigaden und Panzerkompanien sind nicht in der Lage, das Wild nachhaltig zu beunruhigen oder in die Nacht zu zwingen, wiederholte Pirschgänge und mittlerweile auch der Einsatz von Nachtsichtgeräten der Jäger jedoch schon. Trotz Schießbetrieb und Truppenbewegungen – das Wild bleibt tagaktiv und ist einfach zu bejagen. Warum?
Auf Truppenübungsplätzen finden sich immer wieder Ruhezonen, die aus Sicherheitsgründen entstanden sind. Hier geht das Schalenwild jederzeit ungestört seinen Tagesaktivitäten nach. Endet das Schießen, steht man alsbald vor Rot- oder Damwildrudeln und auch das Schwarzwild weiß Ruhe zu schätzen und zeigt sich am Tag.
Ein Negativbeispiel: In einem Revier wurde außerhalb der 35 Hektar großen Ruhezone reichlich Schalenwild geschossen. Zu Beginn einer Brunftperiode wurde jedoch in der Ruhezone zwei Wochen lang Hirsche gejagt. Am ersten Tag erlegte man den ersten Hirsch, zwei Tage später einen weiteren. Mehr Wild kam nicht mehr zur Strecke, da das Wild sofort auf die Beunruhigung reagierte und bei Tag nicht mehr auf die Wiesen zog. Es dauerte Wochen, bis wieder regelmäßig Wild um die Mittagszeit auf den Flächen der Ruhezone stand. In der Folge erschwerte sich auch der Kahlwildabschuss im Gegensatz zu den Vorjahren erheblich. Letztendlich kam weniger Wild zur Strecke als in den Jahren davor.
Zunächst große Skepsis
Spricht man mit Revierinhabern und Pächtern, trifft man häufig auf Skepsis. „Bei euch in dem großen Wald mag das funktionieren, bei uns wird das nichts“, lautet häufig die Argumentation. Viele vermuten, dass eine Ruhezone „riesengroß“ sein oder das Revier mindestens 1.000 Hektar umfassen muss. Falsch – Ruhezonen sind nahezu überall machbar. Oft reichten schon um die 30 Hektar!
In erster Linie sind wir es, die das Wild mit einem schlechten Jagdmanagement in die Nacht oder in Dickungen drängen. Dazu gehört zum Beispiel die intensive Bejagung im Daueransitz oder zu häufige Drückjagden. Wenn es im Revier permanent nach Mensch „stinkt“ (aus Sicht des Wildes, denn irgendwohin muss unser Wind ja gehen), dann stinkt es dem Wild auch eher früher als später. Um dieser Geruchsbelästigung (wieder aus Sicht des Wildes) und der permanenten Störung durch Autofahren zum oder vom Ansitz, zu vielen Kirrungen, die täglich kontrolliert und beschickt werden und vielleicht sogar dem ständigen Pirschen, gerne auch nachts, von einem Sitz zum nächsten, weil an der einen Stelle ja gerade nichts los war.
Um nicht missverstanden zu werden: wir gehen hier in erster Linie von reinen Waldrevieren oder Feldrevieren mit einem größeren Waldanteil aus. In einem reinen Feldrevier mit nur wenig Deckung und (viel) Wildschaden sind sicherlich andere Jagdstrategien angesagt.
Eines ist in jedem Fall sicher: das Wild lernt schnell und weiß parzellenscharf (!), wo es „Feuer kriegt“ und wo nicht. Wir konnten immer wieder beobachten, wie Wild noch in der morgendlichen Dämmerung aus dem Nachbarrevier zurückwechselte, um dann, nach wenigen hundert Metern, den ganzen Vormittag im Sonnenschein auf Wildwiesen zu liegen. Der Reviernachbar hätte sogar Gelegenheit, von einer seiner Grenzkanzeln – über seine Fütterungs-Rübenberge hinweg – in diese Wiesen zu schauen…
Unser Fazit: Wir tragen den Druck erst in die Reviere! Daraus resultieren weitere Probleme der Bejagung – und so entsteht eine Spirale immer neuer Probleme und immer neuen Jagddrucks. Einige Jäger mögen sich davor verschließen, dass es Jagddruck tatsächlich gibt, aber unsere Jahrzehnte lange Erfahrungen aus der Praxis in diversen Revieren bestätigt diesen Fakt.
Zonierung ist das Zauberwort
Wie muss man sich nun eine Wildruhezone bzw. ihre Ausweisung vorstellen? Teilen wir unser Revier doch gedanklich in verschiedene Zonen auf, die unterschiedliche Bejagungsintensitäten nach sich ziehen, denn in dem Moment, wo wir uns örtlich beschränken, haben wir schon viel erreicht! Die Rechnung ist tatsächlich relativ einfach: Eine Zonierung des Waldreviers in Bejagungsintensitäten ermöglicht eine wildgerechtere Jagd und eine höhere Strecke.
Als Ruhezonen (Zone 1) eignen sich folgende geschlossenen Gebiete ab einer Größe von 20 Hektar je nach Wildart:
- wenig vom Menschen frequentierte Waldbereiche
- ruhige Dickungskomplexe mit wenigen Schneisen
- alte, ungenutzte, von einer Dickung umgebene Teiche / Wasserlöcher
- sumpfige Bruchwälder
- wenig oder gar nicht von Wegen durchschnittene Waldstücke
- größere, bereits bekannte und tradierte Haupteinstands- und Äsungsflächen des Schalenwildes im Revier
Der Dreiklang: Deckung, Äsung, Ruhe!
Der Revierinhaber muss ein Auge dafür entwickeln, wo diese geeigneten Komplexe liegen. Muster-Ruhezonen wird es allerdings in den seltensten Fällen geben, denn jedes Revier ist mit seinen Begebenheiten individuell.
Diese Fragen können helfen, eine geeignete Ruhezone zu finden:
- Findet sich vielleicht im Revier eine Parzelle, die ohnehin kaum von Menschen frequentiert wird? - Gibt es ruhige Dickungskomplexe mit darin liegenden Schneisen?
- Findet sich im Revier ein alter, ungenutzter, von einer Dickung umgebener Teich, den kaum jemand kennt?
- Liegt im Revier ein Bruchwald, der im Winter von Wasser und im Sommer von Mücken „verteidigt“ wird?
- Gibt es ein Waldstück, das wenig oder gar nicht von Wegen durchschnitten ist?
- Gibt es größere, bereits bekannte und tradierte Haupteinstands- und Äsungsflächen des Schalenwildes im Revier?
Hat das Revier derartige Komplexe ab einer Größe von – je nach Wildart – 20 bis 50 Hektar, dann wären diese Komplexe als Ruhezone gut geeignet.
Hat man einen geeigneten Standort gefunden, gilt es, dieses „Herzstück“ weiter zu beruhigen. Ohne den Belangen des täglichen Forstbetriebs (Befahrbarkeit für den Revierleiter, offene Wege zur Waldbrandbekämpfung usw.) zuwider zu laufen, finden sich immer Wege, die man geschickt verblenden kann. Wo nötig, lichtet der Jäger innerhalb der Ruhezone Waldwege auf. So entstehen wertvolle Waldinnenränder, die das Wild gerne annimmt. Nur Dickungen und Stangenhölzer allein erfüllen die Aufgabe einer Ruhezone selten. Es ist immer ein Dreiklang: Deckung, Äsung, Ruhe!
Reviereinrichtungen bestehen nur noch in Einzelfällen (Drückjagdböcke), andere werden abgebaut. Damit die Wildruhezonen ihren Zweck erfüllen können, wird beispielsweise nur noch einmal jährlich eine Drückjagd über das ganze Revier, also auch im Kern abgehalten. Ansonsten ruht dort die Jagd.
Fluchtpunkt für alles Wild
Man kann noch mehr tun, damit die Ruhezone noch attraktiver für das Wild wird: Die Anlage von Suhlen und Äsungsschneisen (günstiges Dauergrünland) erhöhen den Effekt. Die Schneisen fungieren als Aufenthaltsräume und Äsungsfläche. Das Schalenwild fühlt sich sicher und kann hier ganztägig äsen. Ein nicht unerheblicher Faktor, um Verbiss- und Schälschäden zu verringern.
Es wird nicht allzu lange dauern, bis das Wild gelernt hat, dass es hier absolute Ruhe hat. Die Kernzone wird zum Fluchtpunkt jeden Rudels, jeder Rotte und auch jeden Rehs. Hier kann das Wild äsen, ruhen, ziehen und suhlen, wann es will. Selbstredend wird in einer Ruhezone nicht abgefährtet, die Suhlen maximal einmal im Jahr kontrolliert und ggfs. gesäubert, Mahlbäume und Salzlecken ebenfalls nur im frühen Frühjahr erneuert und natürlich keine (!) Kirrung angelegt. Wozu auch? Würde man alles andere befolgen, aber wiederum täglich die Kirrung beschicken, wäre dies absolut kontraproduktiv und man bräuchte auch keine Ruhezone. Bleiben Sie aus diesem Teil des Reviers einfach raus, auch wenn es manch einen Überwindung kostet. Auch wir haben erst lernen müssen, dass weniger tatsächlich mehr ist.
Und: Keine Sorge – das Wild ist schon noch da! Wer nun unbedingt den Überblick (oder eher die Kontrolle?!) behalten will, hängt entweder an den Wechseln am Rand der Ruhezone oder an einer Wildwiese Wildkameras auf. Aber Obacht: Die Kameras bleiben dort über Wochen hängen und werden in einer konzertierten Aktion ausgelesen bzw. die Karten werden gewechselt. Ansonsten: siehe Kirrungen. Wer über Kameras mit Funk verfügt, hat natürlich einen Vorteil, weil diese störungsärmer sind und trotzdem die eigene Neugier befriedigt wird.
Versuchen wir doch wenigstens einmal, unsere Reviere neu zu strukturieren. Gestatten Sie sich den Versuch, über zwei Jagdjahre Ihr Wild anders zu bejagen. Vergleichen Sie dann Ihre Aufzeichnungen und Strecken. Sie werden feststellen: Mehr Ruhe = mehr Strecke funktioniert.
Fazit: Stellt man auf die neue Jagdstrategie um, kann man beachtliche Resultate erzielen. Schließen sich die Jagdnachbarn dem Konzept an, erhöhen sich die Erfolge deutlich. Zudem sind Wildruhezonen ausgesprochen kostengünstig. Ruhe und Verzicht kosten eben nicht viel Geld.